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16.07.2008 16:40 Uhr
RETZBACH

Im Zeichen der Jakobsmuschel

Zwei Retzbacher pilgerten mit dem Fahrrad 2800 Kilometer auf dem Jakobsweg
Im Zeichen der Jakobsmuschel waren die Retzbacher Freunde Michael Heßdörfer und Karlheinz Babinsky im Mai dieses Jahres mit dem Fahrrad unterwegs nach Santiago de Compostela.
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An der Kolpingkapelle auf dem Benediktusberg in Retzbach starteten sie am 1. Mai 2008 – nach anderthalb Jahren Vorplanung mit Familie und Arbeitgeber sowie mit dem Segen des Pfarrers Gerold Postler – ihre 2800 Kilometer lange Reise auf dem Jakobusweg zu der spanischen Pilgerstätte. Die Fahrt führte über Ulm bis an den Bodensee, wo die Grenze in die Schweiz passiert wurde.

Die guten Schweizer Radwegenetze ermöglichten eine entspannte Fahrt entlang der Thur. Die zweite Etappe im Nachbarland führte die beiden passionierten Radler zum Kloster Einsiedeln, ihre erste Unterkunft, in der auch andere Pilger übernachteten. Von dort aus führte die Reise über Genf und die französische Grenze ins Zentralmassiv. Anders als erwartet, war dieses Gebirge um einiges anstrengender als die Alpen. Das ständige auf und ab zwischen den Gipfeln kostete viel Kraft und Zeit.

Mit Le Puy wurde am 14. Mai ein alter Wallfahrtsort passiert, an dem sich etliche europäische Jakobswege kreuzen. Ab hier säumen dann auch die günstigen Pilgerherbergen den weiteren Weg, wodurch die Pilger Zeit und Geld sparen. Einen besonderer Höhepunkt der Fahrt durch Frankreich bot das Lot-Tal. Das 150 Kilometer lange Flusstal schlängelt sich durch enge Schluchten mit paradiesischer Natur und in die Felsen gebauten Häusern. Über Cahors und Condom erreichten Heßdörfer und Babinsky am 20. Mai die Grenzstadt St. Jean Pied de Port. Dieser Startpunkt für den spanischen Teil des Jakobswegs mit Blick auf die Pyrenäen wimmelte nur so von Pilgern aus aller Welt.

Temperaturen von 5 Grad Celsius

Wer hier allerdings davon ausging, in dem sonnigen Urlaubsland kann dann auch gleich die Bräune aufgefrischt werden, wurde eines Besseren belehrt: Bei Temperaturen, die teilweise nur 5 Grad Celsius betrugen, waren bei Regen und Hagel zeitweise sogar Handschuhe vonnöten, um die Reise fortsetzen zu können.

Mit Pamplona passierten die Radler die erste große Stadt Spaniens entlang des Jakobuswegs. Der Pilgerweg durch Spanien führt von dort über viele Pässe und Hochebenen an großen Getreidefeldern und kerzengeraden Straßen entlang zum Cruz de Ferro. Auf dem Gipfel des 1500 Meter hohen Berges legen vorbeikommende Pilger mitgebrachte Steine am Eisenkreuz nieder. So legten auch die beiden mainfränkischen Pilger kleine Steine aus Retzbach auf den mittlerweile einige Meter hohen Haufen.

Die Stille und meditative Atmosphäre auf dem Cruz de Ferro bewegte die beiden Radler sehr und nahm einen unvergesslichen Platz in ihrem Herzen ein. Nach der Abfahrt führten die letzten Etappen durch Ponferrada und über zwei letzte Pässe nach Lavacolla, wo sie die letzte Nacht vor dem Erreichen des Zieles verbrachten. Am nächsten Morgen radelten Karlheinz Babinsky und Michael Heßdörfer die letzten zehn Kilometer und erreichten somit am 31. Mai um 9.15 Uhr die Kathedrale Santiago de Compostela. Dieser Moment war für die beiden Radfahrer unvergesslich: Sie waren glücklich und zugleich vollkommen erschöpft. „Alles ist einfach abgefallen“, sagen sie. Dieses Gefühl der Erleichterung und die Euphorie über die erbrachte Leistung lassen sich nicht beschreiben – man müsse das selbst erleben.

Schlafsäle mit 200 Leuten

Karlheinz Babinsky und Michael Heßdörfer haben auf ihrer Reise viel erlebt. Die Begegnungen mit den vielen Pilgern aus aller Welt, das Kennenlernen ihrer verschiedenen Charaktere empfanden die Radfahrer als faszinierend und bescherten ihnen viele kurzweilige Abende. Doch auch die Nächte konnten durchaus sehr kurz sein: Die Übernachtungen in Schlafsälen mit bis zu 200 weiteren Pilgern waren gewöhnungsbedürftig. Da waren Berührungsängste, ein empfindliches Näschen und ein leichter Schlaf fehl am Platz.

Die beiden Freunde sind froh, die Reise zusammen angetreten zu haben. Ohne gegenseitige Motivation wären manche Tiefpunkte bestimmt schwieriger zu überwinden gewesen. Und auch zu zweit kam die Besinnung nicht zu kurz: Über weite Strecken wurde manchmal kein Wort gewechselt und jeder ließ seine Gedanken schweifen. Auch der Rhythmus der Pedale und des Tretens ließ die Retzbacher in eine ganz eigene Meditation fallen.

30 000 Höhenmeter überwunden

Karlheinz Babinsky und Michael Heßdörfer sind stolz auf ihre erbrachte Leistung und blicken gerne auf ihre 2800 Kilometer lange Reise zurück, bei der sie insgesamt 30 000 Höhenmeter überwunden haben und Michael Heßdörfer zieht sein ganz eigenes Resümee: „Die wunderschönen, ständig wechselnden Landschaften, die Begegnungen mit Pilgern aus allen Ländern, die Übernachtungen in den sehr unterschiedlichen Herbergen, aber auch die Stille auf dem Fahrrad, der Rhythmus der Pedale hat sich positiv in unsere Herzen eingebrannt. Man kann von der Pilgerreise erzählen, Bilder zeigen, aber eigentlich kann man sie nur erleben.“

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